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von Tristan Niewisch, April 2019

Im Jahr 2017 wurde die Stadt Goslar von einer Hochwasserkatastrophe heimgesucht. Flüsse traten über die Ufer und rissen weite Teile der Böschung mit. Am 26.7.2017 stand halb Goslar unter Wasser. Ein Freund wohnt direkt an der Radau. Da ich wusste dass er in Urlaub war, hielt ich es für eine gute Idee, gleich morgens von Oker zu seiner Wohnung nach Vienenburg zu fahren.

Ich gebe zu, dass mich ebenso wie viele Schaulustige die unglaublichen Wassermassen und die Naturgewalt faszinierten. So hielt ich im strömenden Regen an der Okerbrücke an. Das ist unweit der Stelle, wo die Gose/Abzucht und die Oker zusammenfließen. Unweit der Brücke wurde ich auf mehrere freigespülte, sehr große und schlammige Holzteile aufmerksam. Hier war die Uferböschung weggerissen und das Holz vom tosenden Wasser freigespült, steckte aber noch im Schlamm fest.

Die Teile zu bergen war aufgrund der Größe, des Schlammes und des starken Regens unmöglich. Beim Versuch, Teile aus dem Schlamm zu ziehen, was ohne sicheren Stand unmöglich war, brach ein Stück des aufgeweichten Holzes ab. Das steckte ich ein und nahm es mit nach Hause. Hätte ich die heutige Bedeutung dieses Fundes erkannt, hätte ich sicherlich nicht so schnell aufgegeben. Erkennbar war, dass es sich aufgrund der Rundungen um große, bearbeitete Holzteile handelte. Die Form eines der herausragenden Teile war besonders ungewöhnlich: spontan dachte ich an den Hinterlauf eines Tieres. Waren es Teile einer hölzernen Statue?

Aus dem Schlamm geborgenes Holzstück

Original Fundstück: 81,5 cm lang und 4,153 Kg schwer (Nass gemessen). Dieses Teilstück ist beim Versuch, den Hinterlauf am Fundort aus den Schlamm zu ziehen, abgebrochen. Eine Laborprobe des Materials ermöglichte die exakte Altersbestimmung.

Aber zuerst musste ich weiter nach Vienenburg. Die Katastrophe, die ich dann beim Haus meines Freundes zu sehen bekam, verdrängte meinen „Fund“ zur Nebensächlichkeit. In seinem Hause schoss das Wasser unter der Tür durch; es war sofort klar, dass das Haus bis zur Kellerdecke abgesoffen war. Der Fund der ungewöhnlichen Holzkonstruktion erschien mir unter diesem Eindruck nicht mehr so wichtig. Am nächsten Tag suchte ich die Fundstelle erneut auf. Zu meiner großen Enttäuschung waren aber über Nacht die weiteren Teile wohl vollständig freigespült und von den Wassermassen fortgerissen worden.

Die Formen und der Umstand des Fundes ließen mir keine Ruhe. Zunächst schickte ich das Stück Holz zu einer dendrochronologische Untersuchung: damit lässt sich das Alter – wenn den Ursprung des Holzes kennt, in unserem Fall also der Harz – anhand der Wachstumsphasen der Holzmaserung sehr exakt feststellen. Das Ergebnis war erstaunlich: das Stück Holz konnte eindeutig auf den Anfang des 13ten Jahrhunderts datiert werden. Dem schloss sich eine gut einjährige Recherche an. Unter Auswertung zahlreicher Schriften und Gespräche in den umliegenden Stadtarchiven und der Kirche in Goslar ergab sich aus zahlreichen Fakten und logischen Schlussfolgerungen ein immer klareres Bild einer sehr erstaunlichen Geschichte.

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